Woher weiß Amazon, dass mein Drucker kaputt ist?

– Datenschürfen in der Social-Media-Sphäre

Die kurze Anwort: von mir selbst. Wie konsequentes Social Media Monitoring und Mapping (Verknüpfung von Profildaten mit CRM-Daten) geradewegs in die Konversion führen kann habe ich am “eigenen Leib” bei Amazon erlebt. Ein Musterbeispiel und ein Plädoyer für Monitoring, Analytics & Targeting.

Die ganze Story:

Die Ausbreitung sozialer Netzwerke stellt Führungskräfte und Marketingmanager vor zahlreiche betriebliche Herausforderungen. Bei der enormen Anzahl von Onlineunterhaltungen, die täglich stattfinden, und der Tendenz, dass sich Nachrichten, insbesondere die schlechten, rasant verbreiten, müssen Organisationen ihre Marken- und Produktbegriffe sorgfältig überwachen und sich ständig z.B. folgende Fragen stellen: Wie häufig twittern die Benutzer über unsere Marken und Produkte? Ist der Ton der Tweets positiv oder negativ? Diskutieren die Benutzer unsere Marken und Produkte mit besonderen Schlagworten, die wir bei unserer Suchmaschinenoptimierung berücksichtigen sollten? Wie wirken sich Facebook und andere Netzwerke auf Transaktionen und Traffic auf unserer Website aus? Konvertieren Nutzer, die unsere Apps in sozialen Netzwerken nutzen, schneller und häufiger?

Um erste Antworten auf diese Fragen zu erhalten, richten viele Marketingmanager einfach Suchfunktionen wie z.B. Google Alert oder RSS-Feeds ein, wenn ihre Marken- und/oder Produktbegriffe in Unterhaltungen im Internet auftreten. Oftmals werden einfache Analyseberichte angefertigt, die den Umfang des Traffics messen, der über Social Media auf die Website gelangt. Weitaus detailliertere Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Social-Media-Kampagnen werden durch professionelles Social Media Monitoring erlangt. Das Monitoring in der Social-Media-Sphäre identifiziert relevante Plattformen, Themen und Meinungsmacher für eine Social-Media-Strategie, kann zur Erfolgskontrolle der Maßnahmen oder ergänzend zur Marktforschung eingesetzt werden.

Außerdem kann Social Media Monitoring mit bestehenden CRM-Prozessen und -Systemen verknüpft (Social CRM) und für den Markenschutz und als Krisenmonitoring genutzt werden. Anders ausgedrückt: Online­monitoring ist organisationales Zuhören (vgl. Pleil, 2010). Neben der Feststellung der allgemeinen Stimmungslage zu bestimmten Schlagworten oder Suchbegriffen im öffentlichen, von Suchmaschinen erreichbaren Teil des Internets, sind innerhalb der geschlossenen Communities noch wesentlich mehr an interessanten Details zu erfahren.

Organisationen tun also gut daran, einerseits die publizierten Konsumentenmeinungen im Rahmen eines Monitorings zu beobachten, andererseits die Dynamik von Social Networks zu nutzen und dadurch Mundpropaganda zu fördern. Marken werden dabei richtigen Usern, den Meinungsmachern und Multiplikatoren etwas zum Klicken und Teilen bieten. Dies können z.B. Bilder, Videoclips, Fanpages, Gruppen oder Profile anderer Nutzer sein.

Die Verfasser des Cluetrain-Manifests brachten dies 1999 im Rahmen ihrer 95 Thesen schon mit der ersten These „Märkte sind Gespräche“ sehr treffsicher zum Ausdruck (vgl. Levine, R. et al, 2009). Das Marketing hat in Zukunft mehr die Aufgabe des Stimulierens von Gesprächen als die des reinen Sendens von Marketingbotschaften. Unternehmen können heute leistungsstarke Technologien einsetzen, über die sie direkt mit den Kunden interagieren. Sie können umfangreiche Informationen über (Ziel-)Kunden erfassen und nutzen. Diese ermöglichen es ihnen, das Angebot direkt den Anforderungen individuell anzupassen. Die Kunden haben in einem bislang ebenfalls nicht gekannten Umfang die Möglichkeit, mit den Unternehmen oder untereinander zu kommunizieren und die von ihnen genutzten Produkte und Dienstleistungen mitzugestalten.

Selbstverständlich nutzen die meisten Unternehmen Customer-Relationship-Management-Systeme und andere Technologien, um Verhalten und Beweggründe ihrer Kunden besser zu verstehen (vgl. Rust et al., 2010). Hier haben sowohl Hersteller von Waren oder Dienstleister wie auch der Handel unterschiedliche Möglichkeiten, mit dem Kunden in den Dialog zu treten.

Ein Beispiel aus dem Alltag des Verfassers zeigt: Kurz nachdem per Twitter mit einer kleinen Textmitteilung der Unmut über Funktionsmängel eines bestimmten Druckers kommuniziert wurde, fand sich im E-Mail-Posteingangsfach ein Angebot des Onlinehändlers Amazon mit dem Betreff „Sie sind auf der Suche nach Elektronikgeräten?“, in dem der Verfasser zahlreiche Offerten zu Druckern fand. Amazon hatte in diesem Fall offensichtlich das Echtzeit-Medium Twitter nach den getwitterten Schlagworten durchsucht, dann das Profil des Twitter-Users (Name, E-Mail-Adresse) mit dem eigenen Kundenstamm im CRM abgeglichen und zeitnah die Frustration des Kunden genutzt, um ein personalisiertes, bedarfsgerechtes Angebot zu unterbreiten. Der genannte Fall ist ein Beispiel, wie ein negativer Beitrag bei Twitter (fast) in Echtzeit als Chance zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit und des eigenen Umsatzes genutzt wurde.

Die Tatsache, dass Organisationen aktive Öffentlichkeitsarbeit im Sinne eines „community outreach“ betreiben, die für positive und kooperative Beziehungen zur Öffentlichkeit sorgen soll, ist keineswegs neu. Doch bevor es das Internet gab, hatten die Unternehmen wesentlich mehr Zeit, um die Aktivitäten interessierter Gruppen systematisch zu beobachten und auf sie zu reagieren.

In Social Media müssen Organisationen quasi in Echtzeit mit Fingerspitzengefühl, Authentizität und absoluter Offenheit agieren. Wenn sich Konzerne in den Communities nicht als Mitglied verhalten, sondern als Organisation auftreten und die Augenhöhe verlieren, kann z.B. eine Fanpage auf Facebook schnell zu einer „Hate-Page“ werden. Im März 2010 ist Lebensmittelkonzern Nestlé in der öffentlichen Wahrnehmung wegen Fehlverhaltens auf einer bei Facebook betriebenen Fanpage für einen Schokoriegel deutlich negativ aufgefallen. Ursache war der Umgang mit von Fans geposteten kritischen Videos und modifizierten Nestlé-Logos, die im Zusammenhang mit einer Greenpeace-Kampagne zum Thema Regenwald standen. Nachdem Nestlé das Posten von Negativbeiträgen kritisiert hatte und auch Beiträge hatte löschen lassen, begann eine weltweite Diskussion, die Nestlé überwiegend Negativ-PR bescherte. Als Notlösung erfolgten die Löschung aller Beiträge und die Sperrung der Pinnwand der entsprechenden Fanpage. Der Fall zeigt, dass Organisationen mit der Geschwindigkeit, dem offenen Umgang mit Kritik, der Dynamik und Viralität dieser Medien zum Teil noch überfordert sind.

Auf der anderen Seite ist die kostengünstige Nutzung der Dynamik und Viralität von Social Media oftmals das erklärte Wunschziel von Marketern. Das Marketing nutzt bereitwillig diese neuen Möglichkeiten der Kundenansprache und wird die Aktivitäten im Social Web weiter verstärken. Bis 2014 sollen bereits fast 13,7% der Budgets anstatt heute 3,5% den neuen „sozialen“ Medien zugutekommen. Im Fokus der Budgetumschichtungen der 511 Top-Marketingverantwortlichen liegen demnach vor allem Social Networking (65% der Befragten), Video- und Fotosharing (52%) sowie Blogging (50%), weil sich die Unternehmen davon bessere Markenentwicklung, Neukundengewinnung, Produkteinführung und Kundenbindung sowie tiefergehende Einsichten in die Märkte und damit das Kundenverhalten versprechen (vgl. Absatzwirtschaft Sonderausgabe zum Deutschen Marketing-Tag, 2009).

Eine Studie der Universität St. Gallen stellte im März 2010 folgende Trends fest (vgl. Rossmann, A., 2010, S. 22ff.): Chancen von Social Media für Unternehmen (Mehrfachnennungen waren möglich): Direkte Kundeninteraktion: 87%; Marktforschung, Integration von Kundenwissen: 32%; Markenbildung, Branding: 26%; Verbesserung der internen Kommunikation, Wissens- und Innovationsmanagement: 24%; Optimierung Kundenservice: 12%.

Quellen und Inspirationen:

Absatzwirtschaft: Social Web Marketing-Budgets. Absatzwirtschaft, Düsseldorf, 52. Jg., (2009) Sonderausgabe zum Deutschen Marketing-Tag, S. 6.

Levine, R. u.a.: The Cluetrain Manifesto: The End of Business as Usual. 10th Anniversary Edition, New York: Basic Books 2009.

Pleil, T.: Web-Monitoring: Kommunizieren setzt Zuhören voraus. In: Web-Monitoring – Gewinnung und Analyse von Daten über das Kommunikationsverhalten im Internet, Hrsg.: P. Brauckmann. 1. Aufl. Konstanz: UVK 2010. S. 16.

Rossmann, A.: Next Corporate Communication – Perspektiven von Social Media für Marketing und Unternehmenskommunikation. Universität St. Gallen – Institut für Marketing (IFM) (Hrsg.), St. Gallen (2009), Teilergebnis I.

Rust, Roland T.; Moorman, C.; Bhalla, G.: Das neue Gesicht des Marketings. Harvard Business Manager, Hamburg (2010), Ausgabe März 2010, S. 86ff.